Haben Sie es geschafft, eine eigene Geschichte zu erfinden und bis jetzt schon einiges davon geschrieben? Bei den angepeilten 1500 Wörtern pro Woche müßten Sie dann jetzt bereits 6000 Wörter Ihres Romans haben.
Oder hatten Sie keine Idee, wußten nicht, wie Sie anfangen sollten und sind somit schon vor dem ersten Wort steckengeblieben? Dann wäre es vielleicht gut, eine kleine Übung einzuschieben.
Eine Übung könnte beispielsweise sein, einen Unfall zu beschreiben, den man selbst erlebt hat, insbesondere die Reaktionen der Umstehenden oder Vorbeifahrenden. Haben Sie schon mal einen Unfall am Straßenrand gesehen und dann beobachtet, wie die meisten Autofahrer einfach vorbeifahren, ohne sich darum zu kümmern?
Und dann das andere Extrem: Die Gaffer. Sie holen extra noch die Kamera heraus, um nur ja nichts von dem grausigen Geschehen zu verpassen und später dann vor ihren genauso gefühllosen Freunden zu Hause damit zu prahlen, was sie gesehen haben. Auf den Gedanken zu helfen kommen sie nicht.
Das sind beides Geschichten, die man schreiben könnte. Selbst wenn man sie nicht selbst erlebt hat. Noch schlimmer und eindringlicher allerdings, wenn man sie selbst erlebt hat.
Eines Tages fuhr ich beispielsweise eine Straße im Elsaß entlang, langsam und ohne einen Gedanken an etwas Böses, als plötzlich vor mir ein alter Mann mit seinem Wagen abbog. Direkt vor mir. Ich konnte nicht mehr bremsen, obwohl ich langsam fuhr. Mein Auto war Totalschaden, der alte Mann hatte seine Frau im Wagen, die zwar angeschnallt gewesen war, aber durch den Gurt hatte sie sich eine Rippe gebrochen und die hatte sich in sie hineingebohrt, sie konnte kaum mehr atmen.
Und während das alles wie ein wahnsinnig schneller Film vor mir ablief, schrie mein Wagen wie ein verwundetes Tier, weil die Hupe sich verklemmt hatte. Es war eine grauenhafte Erfahrung. Ich stand unter Schock, alle anderen Beteiligten auch, aber eine Frau, die mich am Straßenrand stehen und auf mein zertrümmertes und laut schreiendes Auto starren sah, kam auf mich zu und sagte immer wieder zu mir: »Beruhigen Sie sich. Regen Sie sich nicht auf. Das ist nur materieller Schaden. Seien Sie froh, daß Ihnen nichts passiert ist. Das ist nur materiell, nur materiell.«
Meine Hände waren von den herausschießenden Airbags verbrannt worden, mein Daumen war durch den Aufprall auf das Lenkrad verstaucht und fühlte sich sehr locker an, fast als wäre er gebrochen, und ich hatte ein leichtes Schleudertrauma und Prellungen an Armen und Beinen, das war in der Tat alles. Sie hatte recht. Aber ich zitterte, während ich da stand, und ich war sehr dankbar für ihre Gegenwart und Fürsorge.
Aber es gab auch andere, die nur herumstanden und gafften.
Bis heute habe ich diesen Unfall nicht vergessen, und mein Herz fängt an zu rasen, wenn ich ein Bild des Unfalles sehe. Meine Frau, die ich per Handy angerufen hatte, hatte ein paar Bilder gemacht, als sie dann kam. Ich hatte sie darum gebeten, die Kamera mitzubringen. Wegen der Versicherung.
Unfälle sind in der Tat gutes Material für einen Roman, aber ich weiß nicht, ob ich diesen Unfall verwenden würde, denn er geht mir immer noch zu nah.
Aber Unfälle geschehen eben, und manchmal enden sie tragisch wie der des Mädchens, das ein Auge verlor, weil sie zu Sylvester auf der Straße stand und eine Rakete, die in eine Flasche gesteckt worden war, umfiel und sie traf. Eine solche Geschichte in einem Roman zu verarbeiten, wäre eine interessante Aufgabe. Hätte es anders verlaufen können? Wenn sie früher nach Hause gegangen wäre, hätte sie ihr Auge noch. Was hätte noch geschehen können? Usw.
Selbstverständlich könnte ich auch die Originalszene meines Unfalls abwandeln. Was wäre geschehen, wenn ich nicht zufällig zu dieser Zeit an diesem Ort gewesen wäre? Was wäre geschehen, wenn jemand gestorben wäre? Es ist alles eine Frage der Phantasie, und das bleibt ganz Ihnen überlassen.
Wenn Ihnen die Beschreibung eines Unfalls nicht liegt, gibt es noch eine zweite Übung. Da geht es um etwas anderes, nämlich darum, wie verloren Sie sich vielleicht einmal in einer Liebesbeziehung gefühlt haben.
Wie war das damals mit Ihrer ersten Beziehung? Zuerst die große Liebe und dann die große Verlorenheit? Oder wie war es, als Sie nur die drei kleinen Worte »Ich liebe dich« hören wollten, sie aber nie zu hören bekamen? Oder sie klangen einfach nur falsch? Hatten Sie auch manchmal das Gefühl, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein? Etwas verpaßt oder nicht mitgekriegt zu haben? Die Erwartungen der anderen nicht erfüllen zu können? Oder die eigenen Erwartungen zu hoch geschraubt zu haben, zu anspruchsvoll zu sein? Und sich trotzdem danach zu sehnen?
Oder war es eher die Situation zu erfahren, daß man betrogen wird? Daß man dachte, zu lieben und geliebt zu werden, und dann erfährt man, da ist eine andere? Oder viele andere? Daß man nicht die einzige und Liebe vielleicht nur ein Wort ist? Nur ein Schulterzucken und ein »Was hast du erwartet?« erntet, wenn man es zur Sprache bringt?
Ja, was haben Sie wirklich erwartet? Und nicht bekommen?
Somit heißt die Übung also: »Wie verloren ich mich in meiner Liebesbeziehung gefühlt habe (oder fühle)«.