Wir sind immer noch bei der
Figurenbeschreibung
Name, äußerliche Merkmale und zum Teil auch psychische Merkmale haben wir schon abgehandelt.
Nun geht es um die Sprache.
Die Sprache einer Figur ist sehr wichtig. Sie muß der Figur angemessen sein, und zwar allem an ihr, dem Alter, der sozialen Herkunft, der regionalen Herkunft, eventuell ist sie auch ein Zeichen dafür, ob eine Figur in Deutschland geboren ist oder im Ausland, natürlich auch, welche Erziehung sie genossen hat.
Das erste Indiz dafür ist der Wortschatz. Eine Figur, die Wörter wie »Impetus«, »eruieren« oder »indigniert« verwendet, ist offensichtlich gebildet. Das heißt nicht, daß diese Figur ein guter Mensch ist oder daß sie die Wörter, die sie verwendet, auch versteht. Es gibt eine Menge Akademiker/innen, die zwar eine Menge Fremdwörter verwenden, trotzdem aber kaum wissen, was sich dahinter verbirgt.
Dennoch kann ein Mensch über seinen Bildungsstand als Figur in einem Roman charakterisiert werden.
Gerade Jugendliche heute gehören allerdings eher zur »Einwortgeneration«, unabhängig von Bildungsstand und sozialer Herkunft. Was also früher als Kennzeichen für eine Person aus der Unterschicht galt – nämlich die überwiegende Verwendung von einsilbigen oder zweisilbigen Wörtern –, ist heutzutage eventuell nicht mehr ganz so eindeutig.
Zumindest soweit es Jugendliche betriffft. Einen Erwachsenen, der so redet und dazu ordinäre Ausdrücke verwendet, würde man wohl immer noch der Unterschicht zuordnen.
Die sprachliche Differenzierung, also die Unterscheidung oder auch Abgrenzung verschiedener Figuren durch ihre Sprache, ist im Deutschen manchmal schwierig. Besonders, da die Sprache ja nicht gesprochen wird, sondern niedergeschrieben wurde, um gelesen und auch verstanden zu werden.
Schon allein dadurch gehen viele Nuancen, durchaus aber auch stärkere Unterscheidungen verloren.
Ich kann nicht in einem Dialekt schreiben, den niemand oder nur ein kleiner Teil der Leserinnen versteht. Ebenso kann ich gewisse Ausdrücke, die gesprochen vielleicht üblich sind, in einem geschriebenen Text nicht verwenden.
In England oder Amerika ist das einfacher. Da spricht ein Taxifahrer in London reinstes Cockney, und das wird auch, wenn es geschrieben dasteht, verstanden. In Amerika gibt es Unterscheidungen wie Südstaatenakzent oder Rappersprache, und auch das kann man so hinschreiben, daß die Figur dadurch charakterisiert wird.
In Deutschland, in einem deutschen Text geht das nicht so einfach. Sie als Autorin müssen sich sehr gut überlegen, wie das, was Sie einer Figur als Dialog in den Mund legen, bei der Leserin ankommt.
Ein Beispiel:
»Haste ma ’ne Mark?« oder heutzutage »Haste ma ’n Euro?«
Wem würden Sie diese Sprache und diesen Ausspruch zuordnen?
Ja, richtig. Das sind Schnorrer auf der Straße, die so reden. Es können Penner sein oder Jugendliche, die von zu Hause abgehauen sind, auf keinen Fall sind es aber Beamte der Stadtverwaltung.
Wenn eine Figur, zu der diese Ausdrucksweise nicht paßt, so redet, ist das ein eindeutiger Hinweis auf Ironie oder eventuell auf eine spielerische, nicht ernstzunehmende Situation.
Schreibanfängerinnen machen oft den Fehler, alle ihre Figuren gleich, also in derselben Art, reden zu lassen. Meist ist das die Art, wie die Autorin selbst gewohnt ist zu reden.
Bei einer 17jährigen Autorin spricht dann die 30jährige Lehrerin genauso wie der 50jährige Vater und die 17jährige Heldin selbst.
Das geht natürlich nicht. Die 17jährige sollte sich eher der Jugendsprache bzw. eines jugendlichen Stils bedienen, die Lehrerin hat durch ihre Ausbildung und ihre Unterrichtspraxis ebenso wie durch ihr Alter eine weit gehobenere Sprache entwickelt, und der Vater, der schon wieder einer anderen Generation angehört und zudem ein Mann ist (Männer sprechen anders als Frauen!) verwendet vielleicht Ausdrücke, die weder seine Tochter noch deren Lehrerin kennen oder benutzen würden.
Also studieren Sie Ihre Figuren ganz genau. Was für ein»Sprechtyp« ist Ihre Figur? Wie alt ist sie? Wie sprechen Menschen in diesem Alter und mit diesem Bildungsstand? Gibt es spezielle Ausdrücke, die nur eine bestimmte Schicht verwendet?
Wenn Sie wissen möchten, wie Menschen aus der Unterschicht sprechen, schauen Sie sich die Nachmittagstalkshows im Fernsehen an. Dort werden Leute, die meist eher der Unterschicht zuzuordnen sind, wie Zootiere zum Vergnügen der Zuschauer vorgeführt. Keine besonders schöne Art, Menschen zu behandeln, aber für Sie als Schriftstellerin hilfreich und lehrreich.
Auch wie diese Menschen untereinander miteinander umgehen. Die meisten reden nicht in normaler Lautstärke, sondern brüllen immer gleich los. Sie unterbrechen ihr Gegenüber, kaum daß es versucht, etwas zu sagen. Sie hören nicht zu. Sie verstehen nicht, was der andere ihnen sagen will. Sie denken nicht nach. Sie handeln rein emotional, aus dem Bauch heraus.
Auch ist Dialekt in diesen Sendungen sehr verbreitet. Viele der Teilnehmenden beherrschen das Hochdeutsche nicht.
Das alles können Sie in eine Charakterisierung Ihrer Figur übernehmen, wenn Sie eine solche Figur für Ihren Roman benötigen.
Bei Dialekt ist wie gesagt Vorsicht geboten. Er muß von der Leserin auch in schriftlicher Form verstanden werden können.
Und wie ist es mit einer Universitätsprofessorin? Wie kann ich die charakterisieren, wenn ich nicht gerade selbst Studentin oder Professorin bin?
Auch dabei ist das Fernsehen durchaus hilfreich. Schauen Sie sich die Sendungen an, die immer erst laufen, wenn Sie eigentlich schon schlafen, so um Mitternacht herum. Das ist die »Kulturzeit« oder die »intellektuelle Zeit« im Fernsehen. Anscheinend schlafen Intellektuelle nie oder eher vormittags.
Wenn Sie nicht aufbleiben wollen: Programmieren Sie die Sendungen in Ihren Videorecorder, er hat kein Problem damit, nachts wach zu sein.
Möglicherweise ist der Inhalt dessen, was in solchen Sendungen besprochen wird, für Sie nicht interessant, möglicherweise verstehen Sie noch nicht einmal, worüber die Leute reden (in solchen Sendungen hat man immer das Gefühl, daß bewußt darauf geachtet wird, alles so kompliziert und unverständlich wie möglich zu formulieren, auch wenn der Inhalt das gar nicht erfordert), aber wichtig ist die Atmosphäre, die in diesen Sendungen herrscht, und natürlich die Sprache.
Merken Sie sich die Art, wie die Leute in solchen Sendungen das Gesicht verziehen, wie sie Atem holen, um zu antworten, wie sie sitzen, wie sie Sätze bilden. Es kommt nicht auf den Inhalt an, nur auf die Art, wie das auf Sie wirkt.
Sie als Autorin müssen diese Art dann in Ihrem Buch so beschreiben können, daß die Leserin Ihre Universitätsprofessorin vor sich sieht, daß sie sie sprechen hört.
Wenn Sie beginnen eine Figur zu entwickeln, schreiben Sie einen kleinen Dialog, in dem Sie die Sprechweise dieser Figur festlegen. Versuchen Sie die Sprache dieser Figur zu hören und in Ihrem Inneren abzuspeichern, so daß Sie jederzeit, wenn diese Figur auftaucht, darauf zurückgreifen können.
Und denken Sie daran: Eine Figur, deren Sprache nicht zu ihrem Äußeren oder ihrer Lebensweise paßt, ist lächerlich.
Wenn Sie also nicht unbedingt eine Komödie oder Satire schreiben wollen, muß die äußere Vorstellung der Figur, die Sie Ihrer Leserin vorgegeben haben, mit deren Sprache übereinstimmen.
Sonst wird sich Ihre Leserin vielleicht beim Lesen köstlich amüsieren – auch eine schöne Sache, die Sie mit Ihrem Schreiben erreichen können, übrigens –, aber vielleicht nicht verstehen, was Sie ihr wirklich sagen wollen.