»Show, don’t tell« – sagt Ihnen das etwas?

Auf deutsch bedeutet dieser Satz: »Zeige, erzähle nicht«. Auf English klingt es griffiger, im Deutschen ist es besser, den Satz umzudrehen:

»Beschreib nicht, zeige!«

Diese Regel gibt es schon lange, insbesondere englischsprachige Autorinnen und Autoren sind es gewöhnt, so zu schreiben. Das macht viele der im Original englischsprachigen Bücher auch zu beliebtem Lesefutter in vielen anderen Ländern und Sprachen der Erde.

Warum ist das so?

Nun, die Erklärung ist recht einfach. Unser Gehirn arbeitet in erster Linie bildhaft, es verarbeitet Eindrücke, die durch die Augen aufgenommen werden oder sich in Bilder umsetzen lassen, schneller und besser als andere Sinneseindrücke.

Insbesondere abstrakte Darstellungen und Gedanken sind für unser Gehirn erst einmal »schwere Kost«. Sie müssen im Gehirn in etwas Verständliches, für uns Begreifbares, Sichtbares umgesetzt werden.

Das kann viele Umwege erfordern, und meist erlangt man diese Fähigkeit erst nach langjähriger Übung, erst als Erwachsener. Kinder sind im Prinzip unfähig, abstrakt zu denken. Für sie ist alles konkret. Deshalb verstehen Kinder Ironie und Satire nicht, die darauf beruht, daß man das eine sagt, aber etwas anderes damit meint. Für Kinder ist das Gesagte auch das Gemeinte, es gibt keine Zwischenstufe.

Grundsätzlich hätten wir es auch gern als Erwachsene so. Menschen sind im Prinzip faul. Es gibt Ausnahmen, aber im allgemeinen bevorzugen die meisten Menschen es eher, nicht zu viel denken zu müssen, bevor sie etwas erfassen, das heißt in ihrem Gehirn zuordnen können.

Gerade wenn man einen Beruf hat, in dem man viel abstrakt denken muß – praktisch alle Büroberufe gehören dazu –, wünscht man sich deshalb als Entspannung leichte Lektüre, vielleicht auch einen einfach zu erfassenden Fernsehfilm, der direkt das zeigt, was er vermitteln will.

»Leichte Lektüre«, normalerweise Unterhaltungsliteratur, sollte deshalb eher mit Bildern arbeiten als mit Worten.

Ich habe bereits in Teil 2 dieser Reihe darauf hingewiesen, daß ein »schelmisches Augenzwinkern« eine Figur besser beschreibt als »Sie hatte Humor«, das gilt ebenso für alle anderen Charaktereigenschaften, die man einer Person zuordnen kann.

Absolut verboten sind:

»Sie war . . .« und »Sie hatte . . .«, wenn danach die Beschreibung einer Charaktereigenschaft oder eines äußeren Kennzeichens folgt!

Beispiele:

Sie (oder ich) war . . .

  • blond
  • mutig
  • böse
  • traurig
  • niedlich . . .

Sie hatte . . .

  • blaue Augen
  • eine große Nase
  • einen sinnlichen Mund
  • eine sympathische Art . . .

So etwas darf keinesfalls in Ihrer Geschichte stehen.

Sehen Sie einen solchen Satz oder schreiben Sie ihn gerade? Streichen!

Überlegen Sie sich, wie Sie dasselbe ohne »war« oder »hatte« beschreiben können.

Greifen wir uns einfach ein Beispiel heraus. Nehmen wir: »Sie war mutig«.

Wie könnte man diese Eigenschaft darstellen, ohne daß das Wort »mutig« darin vorkommt? Ohne daß die Charaktereigenschaft direkt erwähnt wird?

Das erste, was mir dabei einfällt, ist: Ein mutiger Mensch geht Risiken ein, die andere, weniger mutige, scheuen.

Also – welches Risiko könnte unsere Figur eingehen?

Sie haben bis zu diesem Zeitpunkt schon einiges über Ihre Figur gesammelt. Ihre Figur hat einen Namen, sie hat einen bestimmten Stil, sich zu kleiden und zu laufen, sie hat eine bestimmte Art zu sprechen.

Was geht aus Ihrer bisherigen Figurenbeschreibung über die Risikofreudigkeit dieser Figur hervor? Trägt sie stets Sachen aus dem Second-Hand-Shop? Macht sie sich nichts aus dem, was die Leute darüber denken und sagen? Fährt sie mit dem Fahrrad zur Arbeit und besitzt kein Auto? Kauft sie ausschließlich Bio-Gemüse? Hat sie ein gefährliches Hobby wie z.B. Bungee-Jumping?

Suchen Sie in Ihrer Figurenbeschreibung nach Hinweisen, die die Figur mutig erscheinen lassen könnten.

Wenn Sie keine finden, fügen Sie sie hinzu.

Wir reden hier nicht von großen Taten, die überall in der Zeitung stehen, von Lebensrettung und Todesgefahr, wir reden von einem Menschen, der sich im Alltag da mutig verhält, wo andere feige oder gleichgültig sind. Der eingreift, auch wenn er sich dadurch selbst in Gefahr begibt, verletzt oder gedemütigt zu werden. Der sich aufgrund dieser Bereitschaft positiv von anderen Menschen unterscheidet.

Wichtig ist also eine ganz alltägliche Situation. Im Straßenverkehr zum Beispiel.

Unsere Figur kommt auf dem Fahrrad angestrampelt (sie hat ja kein Auto), das Bio-Gemüse hinten im Korb und wie immer in Sachen gekleidet, die der Mode von vor fünf oder zehn Jahren entsprechen.

Ein betrunkener Autofahrer gerät auf den Bürgersteig, dort steht eine alte Frau, eine Mutter mit Kinderwagen, ein Kind mit einem Dreirad, ein Mann, der so in seine Zeitung vertieft ist, daß er nichts wahrnimmt, zwei Jungs, die sich streiten . . .

Irgend jemand, der nun durch dieses auf dem Bürgersteig fahrende Auto bedroht wird, es nicht mitbekommt oder nicht schnell genug ist, ihm auszuweichen.

Unsere junge Frau auf dem Fahrrad sieht das, erfaßt blitzschnell die Situation, springt vom Rad, läßt es auf den Bürgersteig knallen, das Bio-Gemüse fliegt durch die Luft, eine einsame Tomate zerplatzt am Laternenpfahl, daß das Innere herunterläuft wie Blut, und die junge Frau reißt die gefährdete Person einfach mit sich zur Seite oder zu Boden.

Das Auto knallt in den Laternenpfahl. Es hätte die gerettete Person vielleicht nicht getötet, aber verletzt, vielleicht auch nur erschreckt, was für die alte Frau einen Herzinfarkt zur Folge gehabt hätte . . . alles ist möglich.

Wichtig ist, diese Szene zeigt: die so friedlich in Hippie-Look und Birkenstocks daherkommende junge Frau mit einem Korb voller Bio-Gemüse ist mutig.

Das Wort kommt aber in der ganzen Beschreibung kein einziges Mal vor.

Übrigens: die »blutige« Tomate hat natürlich auch eine Bedeutung. Sie zeigt an, daß es sich um eine gefährliche Situation handelt, die auch hätte schiefgehen können.

Und nun habe ich eine Aufgabe für Sie:

Schreiben Sie eine Szene, die darstellt: »Sie war traurig« oder »Sie war glücklich«.

Die Wörter Trauer oder Glück bzw. traurig oder glücklich (oder Wörter, die dasselbe bedeuten, wie niedergeschlagen, fröhlich usw.) dürfen jedoch in der ganzen Szene nicht vorkommen.

Denken Sie sich eine Situation aus, bei der die Leserin zum Schluß sagt: »Schrecklich, sie ist ja so furchtbar traurig« oder »Wie schön, sie ist glücklich wie noch nie«.

Sie haben für diese Szene eine Woche Zeit. Bis spätestens in einer Woche sollten Sie Ihre Szene hier als Kommentar zu diesem Artikel einstellen, um anderen Schriftstellerinnen zu zeigen:

Das ist »Show, don’t tell«.