Spannung
Was ist spannend in einem Roman? Aus gegebenem Anlaß würde ich gern einmal darauf eingehen, denn nun geht es ja daran, die eingesandten Manuskripte für den LiteraturPreis zu lesen und zu beurteilen.
Spannung bedeutet in erster Linie: Die Leserin kann und will das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen, bevor sie es ausgelesen hat.
Was Spannung ist und was als spannend empfunden wird, kann dabei unterschiedlich sein. Die einen finden Action spannend, die anderen Liebesszenen, wieder andere mögen Horror oder Konflikte, Geheimnisse oder Rätsel. Letzteres gibt es vor allem in der Krimiliteratur.
Liebesromane beziehen ihre Spannung meist aus dem Konflikt oder den Konflikten zwischen den Personen, oftmals auch aus Konflikten zwischen den Personen oder einer Person und den Umständen.
In unserem Falle, bei lesbischen Liebesromanen, liegt die Spannung am Anfang oft darin, daß die beiden Frauen herausfinden müssen, ob sie überhaupt füreinander in Frage kommen, sprich, ob sie überhaupt beide lesbisch sind. Zumindest eine der beiden Personen erscheint der anderen am Anfang oft nicht eindeutig in dieser Beziehung.
Es kann natürlich schon einige Seiten füllen, wenn eine der beiden sich in die andere verliebt hat, aber nicht weiß, ob es überhaupt eine Möglichkeit gibt, daß diese Liebe erwidert wird. Nicht nur, weil man sich eventuell nicht sympathisch ist, sondern deshalb, weil die sexuelle Ausrichtung nicht stimmt. (Und nein, man kann nicht jede Heterofrau ›umdrehen‹, so sehr man sich das auch wünscht. )
Dennoch reicht das nicht für einen ganzen Roman aus. Das wäre denn doch zu langweilig. Spannung liegt oftmals wie Schönheit eher im Auge des Betrachters oder der Betrachterin, aber endlose Beschreibungen oder Gedanken dazu, ob sie nun lesbisch ist oder nicht, lassen die Spannung dann doch nach einer Weile erlahmen.
Hat die Autorin also dieses erste Rätsel gelöst, geht sie weiter zum nächsten: Was passiert nun mit den beiden? Gut, Sex ist meist der Anfang, aber auch die detailliertesten Bettszenen sind nicht endlos spannend. Ebenso wie im realen Leben ist die Spannung nach dem Orgasmus oder den Orgasmen erst einmal flöten. Wie geht es also spannend weiter?
Und da gehen die Meinungen oft weit auseinander. Die unendliche Geschichte des Alltags scheinen viele Autorinnen beispielsweise spannend zu finden. Jeder Einkauf wird geschildert, jede Scheibe Wurst oder Käse beim Frühstück, jede noch so langweilig miteinander verbrachte Minute.
Hier unterscheidet sich der Roman jedoch vom täglichen Leben. Wir mögen es furchtbar süß und spannend finden, jede Minute des Tages mit unserer Liebsten zusammenzusein und jeden Krümel auf ihrem Frühstücksteller anzubeten, in einem Buch kommt das einfach nicht so gut rüber. Da muß etwas passieren.
Vor allem am Anfang eines Romans ist es für die Spannung und das Interesse der Leserin tödlich, zu viele alltägliche Dinge zu beschreiben. Wir hatten das Thema ja schon einmal bei »Vier Seiten für ein Halleluja« – die ersten vier Seiten eines Romans sind entscheidend dafür, ob die Lektorin (die die erste Leserin ist) weiterliest oder nicht. Also sollte auf diesen ersten vier Seiten Spannung herrschen.
Es ist in keinem Fall spannend, erst einmal alle Lebensumstände der Protagonistin, alle Freundinnen, Freunde, Nachbarn, Familienmitglieder und ihr berufliches Umfeld vorzustellen, bevor man überhaupt zur Geschichte kommt. Die Einzelheiten zu all diesen Dingen kann man immer später noch einfließen lassen, wenn es denn wichtig sein sollte.
Auch wie die Protagonistin ihr Leben bis zum Beginn der Geschichte verbracht hat, ist nicht sonderlich spannend. Die Geschichte geht jetzt los, und jetzt sollte sie spannend sein. Was in der Vergangenheit war, ist erst einmal nicht wichtig. Auch hier kann man bedeutsame Ereignisse an den Stellen erwähnen, an denen sie auch jetzt noch eine Bedeutung haben. Wenn sie denn heute noch eine Bedeutung haben. Ansonsten läßt man sie weg.
Um Spannung zu erzeugen, sollte die Hauptfigur in einer spannenden ersten Szene vorgestellt werden, beispielsweise in einem Konflikt oder in einer besonderen Situation, die ihr besondere Intelligenz, besonderen Humor oder besondere Lebenstüchtigkeit abverlangt. Diese erste Szene sollte auf spannende Weise das Interessante an der Hauptfigur zeigen. Warum sollte ich als Leserin weiterlesen, um mehr über diese Figur und ihr Leben zu erfahren? Diese Frage muß beantwortet werden.
Nicht direkt, sondern eher indirekt. Die Reaktionen der Hauptfigur charakterisieren sie, mehr das, was sie tut, als das, was sie sagt. Also sollte die Hauptfigur in der ersten Szene etwas tun, das Spannung bei der Leserin erzeugt. Eine Erwartungshaltung, daß diese Figur der Leserin für den Rest des Romans eine unterhaltsame, konfliktgeladene, spannende Geschichte erzählen wird.
Details über den Alltag dieser Figur sind weniger erforderlich als eine aktive Szene, die die Figur charakterisiert.
Denken wir nur an Xena, die ich bereits oft als Beispiel genannt habe. Was tut Xena in der ersten Szene einer jeden Folge? Sie verprügelt irgendwelche bösen Männer. Das charakterisiert sie. Auch wenn man nichts über ihren Alltag weiß, sieht man sofort: Das ist eine Frau, die sich nichts bieten läßt, die körperlich stark ist und die sich durchzusetzen weiß.
So einen Anfang würde ich mir in jedem Roman wünschen. Nicht daß jetzt jeder Anfang eine Prügelszene sein muß, das wäre eher kontraproduktiv , nein, ich möchte einfach sofort wissen, mit wem ich es zu tun habe und daß diese Figur, diese Geschichte spannend ist. Ich möchte mitgerissen werden und kaum Atem holen können zwischen den Zeilen, die ich lese.
Nun ist es eine Sache, die Spannung am Anfang durch eine charakteristische Szene wie einen Knalleffekt explodieren zu lassen, und eine andere, die Spannung über den ganzen Roman durchzuhalten beziehungsweise immer neu aufzubauen. Es liegt in der Natur der Sache, daß sich der erste spannende Moment irgendwann einmal erschöpft. Xena hat die Männer verprügelt, die Witwen und Waisen (und schönen jungen Frauen ) befreit, und nun zieht sie weiter.
Sie kann nun aber in der zweiten Szene nicht wieder dasselbe tun, sich prügeln, Witwen und Waisen befreien oder was auch immer. Also beginnt nach der ersten Szene, in der wir die Hauptfigur kennengelernt haben, die Geschichte. Und nun muß diese Geschichte die Spannung bieten und weitertragen, die die erste Szene aufgebaut hatte. Es muß ein grundsätzliches Problem geben, daß sich nicht so einfach durch eine Prügelei lösen läßt, ein eher psychologisches, meist zwischenmenschliches Problem.
Es kann natürlich auch die gefährdete Wasserversorgung sein, aber selbst da muß der Konflikt eher in den Menschen liegen, beispielsweise in verschiedenen Meinungen darüber, wie man dieses Wasserversorgungsproblem lösen kann.
Spannung entsteht dadurch, daß die Lösung nicht so einfach auf der Hand liegt. Das gilt ebenso für Liebesromane. Die beiden Hauptfiguren lieben sich, aber sie können nicht zueinander kommen, weil »das Wasser viel zu tief« ist, wie das alte Märchen sagt.
Bei jeder Szene, bei jedem Kapitel müssen Sie als Autorin sich also fragen: Ist das spannend? Würde ich hier weiterlesen, wenn ich nicht die Autorin, sondern eine Leserin wäre?
In jedem Roman bewegt sich die Spannung auf und ab, das heißt, wenn das erste Problem gelöst ist, taucht ein weiteres auf, eventuell ein weniger leicht lösbares, das sich länger hinzieht. Und immer, wenn eine Lösung in Sicht ist, muß es ein Problem geben, das diese Lösung erst einmal verhindert.
Die beiden Liebenden haben sich gefunden, sind für einen Moment glücklich miteinander, aber dann kommt etwas wie: »Ich muß dir da noch etwas sagen« – und schon gehen die Probleme von vorn los.
Bis zum Ende des Buches, an dem dann alle – oder zumindest die wichtigsten – Probleme und Konflikte gelöst sein sollten.
Bis zu diesem Punkt die Spannung zu halten oder immer wieder aufzubauen ist eine große Kunst. Und ich hoffe, daß wir viele Romane für den Wettbewerb erhalten haben, die diese Kunst zeigen.